Die Bedeutung der Landwirtschaftsreformen für Rasmus Stang

Karte von Nr. Ørslev von 1809, nach der
Flurbereinigung. ©Geodatastyrelsen.
Rasmus Stang lebte in einer Zeit, die von großen Veränderungen
geprägt war. Die neuen Ideale der Aufklärung mit Fokus auf
Freiheit, Wissenschaft und Fortschritt setzten sich durch und
sollten der zukünftigen Politik ihren Stempel aufdrücken. In
Frankreich fand das neue Gedankengut seinen Höhepunkt mit der
Revolution von 1789. Auch in Dänemark standen die Zeichen auf
Veränderung. Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden
zahlreiche durchgreifende Reformen durchgeführt, die die Nachwelt
als Landwirtschaftsreformen bezeichnete. Eine umfassende
Gesetzgebung setzte die Umstrukturierung der Landwirtschaft sowie
große rechtliche, wirtschaftliche und soziale Veränderungen in der
ländlichen Gesellschaft durch. Ziel dieser Maßnahmen war es, die
Produktivität zu erhöhen und die Lebensbedingungen der Bauern zu
verbessern. Einer der Hauptinitiatoren der Reformen war der
lolländische Gutsbesitzer und Staatsminister C.D.F. Graf
Reventlow.
Vier Hauptanliegen der Landwirtschaftsreformen sollten Rasmus
Stangs Leben verändern.
Das Recht auf Freizügigkeit - die Abschaffung der
Erbuntertänigkeit
Die erste Reform, die Rasmus Stangs Leben beeinflusste, war die
Aufhebung der Erbuntertänigkeit 1788, die von 1788 bis 1800
schrittweise abgeschafft wurde.
So konnte Rasmus nach 1800 frei aus dem Gutsbezirk wegziehen,
ohne vorher die Erlaubnis des Gutsherren einholen zu müssen. Zuvor
waren er und andere männliche Personen im Alter von 4-40 Jahren an
das Gut gebunden, auf dem sie lebten bzw. geboren wurden. Rasmus
nutzte die neue Freizügigkeit jedoch nicht und blieb auf Gut
Vestensborg. Er lebte weiterhin auf seinem Pachthof in Nørre Ørslev
zusammen mit seiner ersten Frau Margrethe und ihrem ersten
gemeinsamen Kind Niels.
Die streikenden Bauern - die
Frondienstpflicht
Die zweite der Landwirtschaftsreformen, die sich auf Rasmus
Stangs Leben auswirkte, war die Regulierung der
Frondienstpflicht.
Der Frondienst war die Arbeit, die von den Zinsbauern
gezwungenermaßen auf dem Gut geleistet werden musste. Zusammen mit
dem jährlichen Pachtzins bildete der Frondienst die Miete für den
Pachthof. In der Regel war der Frondienst unterteilt in eine Anzahl
Tage mit Handdiensten, an denen Rasmus mit einem Knecht manuelle
Arbeit auf dem Feld verrichten musste, und eine Anzahl Tage mit
Spanndiensten, an denen er sich mit einem seiner Pferde einfinden
musste. Im Gegensatz zum Pachtzins war der Frondienst nicht in
einem Pachtvertrag festgelegt. Der Gutsbesitzer konnte je nach
Bedarf die Anzahl der Tage selbst anpassen, was dazu führte, dass
sich viele Bauern ausgenutzt fühlten. Ende des 18. Jahrhunderts
resultierten Streitigkeiten zwischen Gutsbesitzern und Zinsbauern
über das Ausmaß der Frondienste zu Streiks.
Am Samstag, dem 4. September 1790 wurde es auch den Bauern in
Nørre Ørslev zu viel. Sieben Tage in Folge waren sie zur Arbeit auf
Vestensborg einberufen worden, aber nun hatten sie die Nase voll
und blieben der Arbeit fern! Die Gutsbesitzer reagierten mit
Strafgeldern - die Bauern weigerten sich zu zahlen. Rasmus befand
sich in einem Dilemma. Einerseits konnte er kraft seines Amtes als
Gemeindevorsteher, also als Repräsentant der Behörden, die illegale
Gehorsamsverweigerung gegen den Gutsbesitzer nicht billigen.
Andererseits war er selbst Bauer und damals ebenfalls der Willkür
des Gutsbesitzers ausgesetzt. Wie Rasmus schließlich handelte, ist
nicht bekannt.
Es wurden Verhandlungen zwischen Bauern und Gutsbesitzer
geführt, die jedoch ergebnislos blieben. Das Ende vom Lied war,
dass die Krone das Gut Vestensborg im August 1791 erwarb, um die
Reformen selbst durchzuführen. Am 1. Mai 1792 wurde der Frondienst
auf Vestensborg durch eine Gebühr ersetzt. Auf Landesebene wurde
der Frondienst nicht abgeschafft, doch 1799 erging ein Erlass, dass
der Gutsbesitzer den Umfang der Arbeit nicht mehr selbst festlegen
konnte.
Nachbarn ade - die Flurbereinigung
Die nächste Reform, die sich auf Rasmus' Leben auswirkte,
umfasste die Flurbereinigung und die Aussiedlung von Höfen.
Ziel der beiden Maßnahmen war es, die Landwirtschaft durch
Aufhebung der Feldgemeinschaft der Dörfer effektiver zu machen.
Zuvor hatten die Höfe im Dorf gelegen und um das Dorf das
gemeinsame Ackerland, wobei sich das Land der einzelnen Höfe auf
schmale Streifen auf jedem Feld verteilte. Dieses System
gewährleistete eine gerechte Verteilung von gutem und schlechtem
Boden, dessen Bewirtschaftung gemeinschaftlich erfolgte. Im Zuge
der steigenden Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten wurde
den tonangebenden Gutsbesitzern im Laufe des 18. Jahrhunderts klar,
dass dieses Bewirtschaftungssystem viel zu ineffektiv war. Damit
war der Weg für die Flurbereinigung und die Aussiedlung
bereitet.

Nur der amputierte Giebel des Falstergården zeugt
noch davon, dass der Hof früher ein Doppelhof war. Foto: Roberto
Fortuna.
Bei der Flurbereinigung in Nørre Ørslev wurde das Ackerland des
Dorfs vermessen und kartiert, um anschließend neu verteilt zu
werden. Das Dorf wurde nun in 17 Höfe und 17 Parzellen eingeteilt.
Zwei der ehemaligen Höfe mussten stillgelegt werden. Da das Ziel in
einer zentralen Platzierung der Höfe auf ihren neuen Parzellen
bestand, mussten acht Höfe auf Parzellen außerhalb des Dorfs
ausgesiedelt werden. Rasmus Stangs Hof, die eine Hälfte eines
ehemaligen Doppelhofs, blieb im Dorf, während die andere Hälfte
stillgelegt und dessen Wirtschaftsgebäude abgerissen wurden. Der
Wohnflügel, der an den Falstergården angebaut war, durfte stehen
bleiben, so lange der Besitzer Troelsen und seine Frau lebten. Nach
ihrem Tod verfiel das Gebäude und stürzte schließlich teilweise
ein. Heute präsentiert sich der südliche Giebel der westlichen
Hofseite des Falstergården wie eine geheilte Narbe und davon zeugt,
welch enormen Eingriff in das Dorf und in das Leben der Bauern die
Flurbereinigung bedeutete. Die seit Generationen bestehende soziale
und wirtschaftliche Gemeinschaft wurde dadurch aufgelöst. Die
Flurbereinigung gab den Bauern die Möglichkeit, ihre Landwirtschaft
zu effektivieren, aber sie trugen die Verantwortung nun ganz
alleine. Namen wie Tårebæk (Bach der Tränen), Frihedsprøve
(Freiheitsversuch) und Tvisten (Zwist) verraten, dass nicht alle
Familien auf den ausgesiedelten Höfen glücklich über diese
Veränderung waren. Die Flurbereinigung von Nørre Ørslev dauerte von
1791-94.
Auf eigenen Füßen stehen - von der Pacht zum
Grundbesitz
Die letzte der Landwirtschaftsreformen, die sich auf Rasmus'
Leben auswirkte, war der Übergang von der Pacht zum Eigentum.
Als Zinsbauer pachtete man einen Hof mit zugehörigem Land vom
Gutshof und leistete im Gegenzug einen jährlichen Pachtzins und
Frondienste. Im Gegensatz zur Miete war die Pacht nicht zeitlich
begrenzt - sie galt ein Leben lang.
Am 20. Februar 1807 unterschrieb Rasmus Stang seine
Grundbesitzurkunde. Damit erlebte er den Übergang vom Zinsbauern
des Gutshofs Vestensborg zum Bauern mit Grundbesitz, der nun auf
eigenen Füßen stand. Rasmus Stang starb im April 1807 - es war ihm
nur knapp zwei Monate vergönnt, seinen neuen Status zu
genießen.